Kanazawa: Kleinod am Japanischen Meer

In der Hektik der Vorbereitungen auf die Reise hatten wir ganz vergessen, unsere Führerscheine bei den japanischen Behörden entsprechend umschreiben zu lassen, so dass uns das Mietauto trotz Bitten und Bettelns am Flughafen in Osaka nicht ausgehändigt wird. Wir müssen improvisieren, was bleibt uns anderes übrig. Warum sollten nicht gerade in Japan unsere Reiseziele mit Bahn und Bus erreichbar sein – und das pünktlich. Ein Zug nach Kanazawa, dem ersten etatmäßigen Haltepunkt unserer Reise, ist schnell gefunden.
Die Planänderung zwingt uns, kurzfristig ein Minshuku – das sind preisgünstige familiengeführte Pensionen in Japan – in Kanazawa zu suchen. Ein freundlicher Herr bringt uns in seinem mit Häkeldecken behangenen Taxi zu einer Herberge in der Nähe des alten Geisha-Viertels, wo wir noch ein 2-Tatamimattenzimmer ergattern. Keine Chance jetzt von der Müdigkeit nach dem langen Flug überwältigt zu werden, denn hinter der Papierschiebetür unserer vier Quadratmeter mit Hausaltar liegt der Gemeinschaftsraum, und der ist voll mit Individualreisenden auf der Suche nach Gesprächen und Freundschaften. Also hinaus auf die Straßen, die schon nach Frühling duften. Wir steuern das Itaru-Honten, eine bei Einheimischen beliebte Kneipe mit großer Speisekarte, an. Sie ist leicht gefunden, denn draußen leuchtet die charakteristische rote Papierlaterne mit dem Schriftzug “Izakaya”. Das Lokal ist so beliebt, dass es bereits überfüllt ist und wir werden höflich gebeten, zu warten. So haben wir Zeit, uns die Speisen und den Ablauf anzusehen. Gesessen wird an Tischen, aber vor allem an einer langen Theke, hinter der jedes Gericht frisch zubereitet wird. Hier dürfen wir uns schließlich setzen und gehen das Wagnis ein, ohne englische Karte und nur mit einem Fingerzeig auf dies oder das eine Folge von 10 Tsumamis, das sind japanische Tapas, zu bestellen. Alles schmeckt frisch, aber sehr fremd und ist weit entfernt von allem japanischen Essen, das uns aus europäischen Erlebnissen bekannt ist. Am schwierigsten wird es bei rohem Tintenfisch in einem säuerlichen Sud, aber da kommt auch schon als nächstes ein Kunstwerk aus Rettich und Sashimi und wir wenden uns einfach dem nächsten kleinen Teller zu. Das kühle Asahi-Bier trägt dazu bei, dass auch Ungewohntes schließlich runtergespült wird. Wir ernten anerkennende Blicke eines Japaners neben uns, der einige Jahre im Ausland verbracht hat und uns in ein freundliches Gespräch auf Englisch verwickelt. Ein wenig später sind wir nach 36 Stunden wirklich bettreif.
Am nächsten Tag ziehen wir zunächst ins Yogetsu, ein historisches Teehaus inmitten des Higashi-Chaya-Viertels um. Hier fällt es uns angesichts der vielen schönen restaurierten traditionellen Holzhäuser nicht schwer, uns ins alte Japan Kellermanns zurückzuversetzen. Durch die Gässchen laufen wir in Richtung Kenroku-en, einem der drei schönsten und bekanntesten Gärten im gesamten Land. Kenroku-en bedeutet “kombinierte sechs” und bezieht sich damit auf die sechs Atrribute eines perfekten japanischen Garten: Abgeschiedenheit, Weite, künstlerische Gestaltung, lange Geschichte, Wasser und eine ungehinderte Aussicht. Es ist faszinierend, wie ein immerhin zu großen Teilen von Formschnitten, Holz- und Steinelementen geprägter Garten eine solche kraftvolle Natur und Urwüchsigkeit ausstrahlen kann… (Auszug aus unserem Reisetagebuch)

In den Alpen: Wohlfühlen im Ryokan mit Onsen

Der Zug schlängelt sich durch enge Felsschluchten. Schnee bedeckt sind noch die Hänge und tosende Wasser stürzen über Felsgeröll – wir sind in den Japanischen Alpen. In Takayama atmen wir sonnige Frühlingsschneeluft ein, bevor wir den Bus nach Fukuji nehmen.
Das Ryokan Yama Soene liegt nur wenige Schritte den Berg hinauf. Das Personal empfängt uns mit unvergleichlicher Zuvorkommenheit. Zur Begrüßung gibt es grünen Tee und Reiskuchen. Der Eingangsbereich duftet angenehm nach Weihrauch und Sandelholz und strahlt eine fremdartige, aber natürliche und reine Gemütlichkeit und Gastlichkeit aus. Sobald wir in dem geräumigen Zimmer mit Blick auf die Berge sind, packen wir unsere Waschkörbchen, werfen die Kimonos über und trippeln zum Privatbadehaus. Ein gemütlicher Waschraum mit Hockern, Waschtrögen aus Holz, Warmwasserbecken (35 °C und 44 °C) und einem Außenbecken mit Thermalwasser gehören für die nächste Stunde uns ganz allein. Wer hier nicht entspannen kann, dem ist nicht zu helfen!
Um Punkt halb sieben werden wir in einem kleinen Separée mit im Boden eingelassener Feuerstelle erwartet. Was dann kommt, kann man sich vorher nicht ausmalen: Japanische Spitzenküche in Form eines endlosen Menüs, dass nicht nur die höchsten kulinarischen, sondern auch ästhetischen Vorstellungen übertrifft. Jeder Teller ist ein perfektes Kunstwerk. Frühlingsfisch, Ingwerblume, Lachs in Frühlingszwiebeln, Yams in Miso, Suppe mit Fischmuswürfeln und Bergkräutern, Lachssashimi mit Wasabi, Frühlingsgemüse und roter Kresse, Beef im Körbchen mit schwarzem Pfeffer, Rettichtörtchen auf Misojus, Reis und Fisch auf Holzkohle am Tisch gegart… (Auszug aus unserem Reisetagebuch)

Auf dem Nakasendo: Wo die Bären tanzen

Wir reisen weiter am nächsten Morgen. Der alte Postweg Zentraljapans ist unser Ziel: der Nakasendo. Jetzt gilt es aber erst einmal mit dem Bus Anschluss in Richtung Matsumoto zu finden. Dort pünktlich (wie es sich in Japan gehört) angekommen, haben wir vor der Weiterfahrt nach Nagiso Zeit für einen Stadtbummel. In und nahe der Stadt entspringen unzählige heiße Quellen. Kanister und allerlei andere Gefäße werden von den Bewohnern mit bestem Quell(Heil)wasser abgefüllt.
Das Highlight der Stadt, die sogenannte Krähenburg”, liegt verbaut, sodass wir fast daran vorbeilaufen. Pyramidenförmig erhebt sich Etage um Etage. Die Holzwände sind schwarz getüncht, Schießscharten und ein Wassergraben verleihen der Burg einen wehrhaften kriegerischen Eindruck. Der umgebende Park mit blühenden Pflaumen- und Mandelbäumen spendet eisschleckenden Rentnern Schatten und Familien Fotomotive (uns im übrigen auch >>>). Über die schneebedeckten Alpen setzt sich der blaue Himmel.

Am späten Nachmittag besteigen wir den Schnellzug nach Nagiso. Für die vielen japanischen Geschäftsleute und Pendler neben uns gibt’s gefrorene Erdbeeren und kaltes Bier, natürlich auch die üblichen Futterboxen in Plastik. Ende der Zugfahrt im einschläfernden Abteil. Das Taxi bringt uns nach Tsumago ins “Daikichi”, einer traditionellen Herberge. Überaus pünktlich haben sich alle Gäste um 18 Uhr zum Abendessen eingefunden. Auf dem Speiseplan stehen Miso-Suppe, Reis, Tempura, Fisch und knusprige Heuschrecken. Statt grünem Tee wie üblich gibt’s heute auch für uns Bier zum Herunterspülen der Insektenbeine.
Am nächsten Morgen wandern wir nach spartanischem Frühstück ins Dorf Tsumago. Die Koffer, so haben wir bereits erfahren, kann man an der Touristeninformation abgeben und werden von dort per Lkw nach Magome transportiert. So sind die Wanderer frei von schweren Lasten, wir auch. Die übersichtliche Ausstellung ist schnell durchquert und starten endlich unsere Tour. Wir durchstöbern zuerst die Auslagen der Lädchen Der Versuch an einer Reisnudel mit Walnussfüllung scheitert, da diese ungenießbar ist. Zur Strafe müssen die angeknabberten Reste mit ins Wandergepäck, da sich kein Mülleimer findet. In ganz Japan scheint es davon nur eine Handvoll zu geben. Jeder nimmt seinen Müll mit nach Hause, was Japan wohl zum gelecktesten Ort der Welt macht – eigentlich wohltuend.
Wir verlassen die Ortschaft und treten in die sanfte Hügellandschaft beidseits des Nakasendo ein. Ein Wasserlauf ist unser ständiger Begleiter und Kompass zugleich. Schon nach der ersten Steigung merken wir, dass die Misosuppe wenig Kraft für den Tagesmarsch spendet. Es entspinnt sich eine Diskussion ob der Bärenglocke, die mit dem Hinweisschild “Ring hard against Bears” versehen ist. Wir sind geteilter Meinung. Während Uwe die Glocken für einen Scherz und nervtötenden Unsinn hält, nimmt Anna den Hinweis ernst und läutet alle paar hundert Meter die Glocken. Eine spätere Recherche im Internet ergibt eine reale Bedrohungssituation durch Kragenbären, denn jedes Jahr gehen mehr als 150 Übergriffe mit Todesfolge aufs Konto der Bären. Wir passieren weiter einsame Häuser mit eigener Fischversorgung aus terrassenförmig angelegten Bassins.
Schon weiter auf unserem Weg winkt uns ein älterer Herr in ein Teehaus hinein, um uns grünen Tee anzubieten. Wir lehnen höflich ab und tanken stattdessen auf der benachbarten Wiese Sonne. Nach der Pause setzen wir unsere Wanderung fort, bestaunen Wasserfälle, eine uralte Zypresse und Buddhas. Kurz vor dem Ziel wagen wir uns an eine Portion mit geschabtem Wassereis, das mit Sirup verschiedener Geschmacksrichtungen übergossen wird. Wir werden von Kellermanns historischem Reisebericht und vom Film “Die Geisha” zum Zugreifen verführt. Um ehrlich zu sein: Finger weg! Am Ziel angelangt nehmen wir wieder unser Gepäck an der Touristeninfo auf und lassen uns langsam durch die Folklore des Dorfes zum Minshuku “Chaya” für die Nacht treiben (Auszug aus unserem Reisetagebuch)
